Das Antlitz des Virus

Chris Lohner hat eine Corona-Erkrankung überstanden. Jetzt möchte sie dem Virus ein Gesicht geben. Doch was ist ihre Botschaft?

„Corona soll ein Gesicht haben – nämlich meines!“, verkündet im „Kurier“ niemand Geringere als die allseits beliebte Chris Lohner. Wer, wenn nicht sie? Viele Jahre war sie die Stimme des öffentlichen Verkehrs – jetzt will sie das Gesicht sein für den Stillstand des öffentlichen Lebens. Das hat eine gewisse Logik. Und sie weiß, wovon sie spricht, schließlich hat sie erst kürzlich am eigenen Leib erfahren, was es heißt, eine Corona-Infektion durchgemacht zu haben.

Was ist nun von ihr als selbst ernannte Corona-Botschafterin der Nation zu erwarten? Wofür steht sie? „Sex, aber mit Vergnügen“ oder „Wollust“ waren einst Titel ihrer Solostücke, sie haben ihr das Image vitaler erotischer Weiblichkeit verschafft. Mit Buchtiteln wie „50 plus. Na und?“ oder „Jung war ich lang genug…“ hat sie eine unverwüstliche Lebensfreude zur Schau gestellt, die sich durch nichts beirren lässt, schon gar nicht vom Älterwerden.

Und nun hat sie eine Corona-Infektion überstanden. Was läge da näher als eine Botschaft der Zuversicht, des Mut-Machens? Zum Sinnbild der Hoffnung in düsterer Zeit hätte ihr Konterfei werden können, ein Lichtgesicht am Ende des Eisenbahntunnels. Die Menschen würden aufhorchen wie einst in den Zugabteilen, wenn das Antlitz mit der vertrauten Stimme zu ihnen spräche:

„Ich bin’s, eure Chris Lohner. Ich bin 77 Jahre alt und gehöre zu den Risikogruppen. Na und? Ich hatte Corona und hab’s überstanden! Es hat mich zwar ganz schön hergenommen. Jetzt, drei Wochen danach, bin ich immer noch geschwächt. Schon ein Gang durch den Garten bringt mich außer Atem. Aber ich will nicht klagen, ich musste nicht auf die Intensivstation, nicht einmal ins Krankenhaus. Ich habe Corona mit guter Betreuung zu Hause auskurieren können.“

Doch weit gefehlt! Chris Lohners Botschaft ist keine frohe, die weiche Stimme ist hörbar brüchig geworden und hat anderes zu verkünden: „Das Ganze war so grauslich, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich weiß, es gibt schlimmere Dinge, ich bin seit 20 Jahren unterwegs in den Elendsgebieten dieser Welt. Ich hatte die Ruhr, eine Grippe mit 41 Fieber, aber das überbietet einfach alles.“ Schlimmeres gibt es, doch das überbietet alles! – Ein Paradox wie aus dem Corona-Lehrbuch. Es klingt wie ein Leitsatz für den derzeitigen öffentlichen Umgang mit der Pandemie.

Noch einmal: Was ist Lohners Botschaft, für das sie ihr Gesicht zur Verfügung stellen möchte? Gibt sie uns wenigstens irgendein Signal der Zuversicht, etwa dergestalt:
„Liebe Leute, es wird in den Medien nur noch über Tote geredet. Ich aber bin ein wandelndes Beispiel dafür, dass man auch als alter Mensch Corona überstehen kann. Denkt doch an die Weihnachtszeit, als das Virus in den steirischen Pflegeheimen wütete. Lauter pflegebedürftige Menschen, Hochrisikogruppen sozusagen! Und doch haben dort fünf von sechs Infizierten überlebt, das sind über 80 Prozent!“
Am Jahrestag des Corona-Ausbruchs hätte sie neben dem Simulationsexperten Niki Popper stehen können, als er zumindest einen Hauch von Hoffnung verbreitete:
„15 Prozent der Österreicher haben bereits eine Covid-Infektion hinter sich. Das sind aktuell 1,3 bis 1,5 Millionen Menschen, die zumindest temporär immun sind.“

Doch Lohners Botschaft ist auch hier eine andere: „Ich bin, sollte ich wieder gesund werden, immun gegen das Virus, aber nicht gegen Mutationen aus Südafrika oder Tirol. Da bin ich dann wieder schutzlos wie ein Baby.“ Gibt es ein drastischeres Bild der Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit? Die vermeintlich schlimmste Heimsuchung seit Menschengedenken hat sie überstanden, und doch ist nichts von ihrer einst trotzig inszenierten Vitalität, ihrem unverwüstlichen Kampfgeist übriggeblieben. Ein Jahr ununterbrochener Panikpropaganda hat sichtlich tiefe Spuren hinterlassen.

Am Ende bleibt Lohner nur noch eine Mahnung an alle, ein Appell, künftig bei menschlichen Begegnungen niemals die Angst zu vergessen: „Achten Sie auf jeden, mit dem Sie Kontakt haben. Fragen Sie ihn, woher er kommt. Vielleicht aus Südafrika, vielleicht aus Tirol, vielleicht ist es irgendein Engländer, der im Zillertal Skilehrer werden will!“

Womöglich ist Chris Lohner trotz allem – oder gerade deshalb – eine geeignete Corona-Repräsentantin für das offizielle Österreich. Ein trauriger, trüb gewordener Spiegel.