Pharmasakramente

Kunst als monströse Propaganda: Eine Lichtinstallation in Düsseldorf verheißt die Erlösung der Menschheit durch die Impfung.

Auf dem Düsseldorfer Rheinturm, einem 240 Meter hohen Wahrzeichen des Landes Nordrhein-Westfalen, war bis Mitte März eine Lichtkunstperformance des 23-jährigen Künstlers Leon Löwentraut zu sehen. Sie zeigte Fotoporträts von 200 Kindern im Alter zwischen neun und 16 Jahren, aufgenommen in dem Moment, als sie sich die Frage stellten: „Was bedeutet Zukunft für mich?“
Der Künstler hat die Fotos übermalt und den Kindern eine Antwort auf ihre Frage gegeben. Über den Köpfen prangt der Slogan: „Impfen = Freiheit“.

Da stellt sich doch die gute alte Frage aus der Schulzeit: Was will uns der Künstler damit sagen? Zunächst einmal fällt auf, dass er seine Botschaft in der Form einer mathematischen Gleichung präsentiert. Mag sein, dass er das aus einer gewissen Verlegenheit heraus tut, denn jedes Verb anstelle des Gleichheitszeichens (etwa „Impfen ist, heißt, oder schafft Freiheit“) hätte womöglich allzu starke historische Assoziationen geweckt. Anfang Mai war auf einer Corona-Demonstration in Freiburg ein Plakat mit der Aufschrift „Impfen macht frei“ zu sehen. Wegen der Anspielung auf den Spruch „Arbeit macht frei“ an NS-Konzentrationslagern ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.

Aber vielleicht hat der Künstler die mathematische Form seiner Botschaft ja auch mit Bedacht gewählt, schließlich passt sie zu unserem Umgang mit der Pandemie. Seit einem Jahr stehen wir unter einem medialen Dauerbeschuss mit mathematischen Werten, unter denen sich zwar kaum jemand etwas vorstellen kann, die aber gerade deshalb umso bedrohlicher wirken. War es vor Kurzem noch der R-Wert, der auf keinen Fall über irgendeiner Zahl liegen durfte, so ist es nun die 7-Tage-Inzidenz. Sterbezahlen werden mit einem plus/minus in Forum eines mit/an versehen. Das Wort „exponentiell“ hat eine kontextbefreite Bedeutung bekommen, sie ist jetzt unabhängig davon, wie groß der Exponent ist. Hauptsache: schlimm und immer schlimmer.

Zugleich evoziert das Gleichheitszeichen eine Stringenz und Absolutheit der Deckungsgleichheit, die keinen noch so kleinen Spielraum mehr erlaubt, schon gar nicht fürs Denken. Wenn etwa derzeit mehr Menschen auf Intensivstationen liegen, dann folgt das stringent aus dem exakt errechneten Prozentwert, um wie viel ansteckender und gefährlicher die neuen Corona-Mutanten sind. Da hat kein Gedanke mehr Platz, dass das womöglich auch etwas mit einem kollektiv geschwächten Immunsystem zu tun haben könnte, weil die Menschen seit einem Jahr dem Dauerstress von Lockdowns, sozialer Isolation und Panikpropaganda ausgesetzt sind. Ganzheitliche Medizin ist der Todfeind mathematisch-mikroskopisch zugespitzter Reduktion. Nichts geht zwingender auf als eine mathematische Gleichung, das bleibt kein Rest, für nichts.

Jetzt haben wir also ein würdiges Corona-Kunstwerk, strahlend hell verkündet es in der Landeshauptstadt auf dem höchsten Turm weit und breit eine apodiktische Wahrheit, die allen Menschen, die guten Glaubens sind, den Weg aus der Krise weist. Und als wäre das nicht schon genug des Guten, hat der Künstler zusätzlich noch die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf den Turm projiziert, so dass der mündig mitdenkende Rezipient die Gleichung in Gedanken fortsetzen kann: Impfen = Freiheit = Weltrettung. Und so steht man vor dem Rätsel, was am Impfen wohl das Nachhaltige sei: die Wirkung, die Immunität oder am Ende gar die Nebenwirkungen und Langzeitfolgen? Oder hat der Künstler eine Vision und prophezeit uns eine Impfung gegen den Klimawandel?

Die Projektoren, die die Lichtinstallation auf dem Turm erstrahlen lassen, stehen auf dem Dach des benachbarten nordrhein-westfälischen Landtags. Was für eine Inszenierung! Das Licht, einst Symbol für Aufklärung und kritisches Denken, wird dem Künstler von der Volksvertretung zur Verfügung gestellt. Die Ehe von Kunst und Politik im Dienste der Propaganda ist vollzogen.

Es liegt etwas Monströses, Totalitäres über der Installation, ein obszöner Gestus der Gigantomanie. Ein Wahrzeichen am mythenumrankten Rhein musste es sein, ein in den Himmel ragender Lichtdom des Heils und der Hoffnung. Bezeichnenderweise ein Fernsehturm und keine Kirche, die Zuständigkeit in Sachen Erlösung hat die Religion längst an die medial vermittelte Wissenschaft abgegeben. Aus dem Gleichnis ist eine Gleichung geworden. Mussten wir uns bislang mit desinfizierendem Weihwasser begnügen, so haben wir jetzt endlich das Sakrament der verimpften Eucharistie.

Der Theologe Ulrich H. J. Körtner gerät in einem Artikel im „Standard“ beim Gedanken an die derzeit laufende Massenimpfung erstaunlich unverblümt in religiöse Verzückung: „Die Vakzine von Biontech, Moderna, Astra Zeneca und Co leuchten als Sterne der Erlösung in Corona-Zeiten.“ Hat nicht einst ein leuchtender Stern die heiligen drei Könige zur Krippe des Erlösers geleitet? Pharmafirmen, vor Kurzem noch wegen ihrer skrupellosen Profitgier medial am Pranger, sind von heute auf morgen zu segenspendenden Heilsbringern avanciert. Als Leuchtsterne der Erlösung verdienen sie natürlich jede Art der Ermächtigung. So ist es nur konsequent, dass Körtner im Auftrag des Allerhöchsten fordert: „Sollte sich herausstellen, dass die Impfung die weitere Ausbreitung von Covid-19 und seinen Mutanten weitgehend unterbindet, wird man auch über eine allgemeine Impfpflicht oder zumindest über eine solche für bestimmte Berufsgruppen nachdenken müssen.“

Die Sterne müssen sich aber erst noch bewähren. Noch wissen wir nicht, was die neuen Pharmasakramente bewirken, weder, welche Langzeitfolgen sie haben, noch, ob sie überhaupt die Infektionsketten durchbrechen. Das können wir nur hoffen. Und glauben. Was wurde im Namen des Glaubens nicht schon alles verbrochen. Jetzt liefert uns der Blick gen Himmel nicht weniger als die Rechtfertigung des größten Humanexperiments in der Geschichte der Medizin.