In meinem letzten Blogbeitrag habe ich angekündigt, dass ich von meinem Recht auf öffentliche Meinungskundgebung Gebrauch machen würde, sofern eine Impfpflicht kommen sollte. Denn ich halte einen solchen Zwang für eine brutale Anmaßung, eine obrigkeitsstaatlich verordnete Verletzung der körperlichen Integrität von Bürgern. Jetzt ist sie da, die Impflicht, Anfang Februar soll sie eingeführt werden. Da ich mir nun selbst im Wort bin, lese ich natürlich mit Interesse, wie die Medien über Menschen berichten, die an derartigen Demonstrationen teilnehmen.
Besonders interessiert mich, was etwa ein Magazin wie der „Falter“ schreibt, hat sich dieses Blatt doch wie kein anderes den offenen Diskurs auf die Fahnen geschrieben, die Stärkung der Zivilgesellschaft, den respektvollen Umgang mit Minderheiten und Andersdenkenden. Unermüdlich hat Armin Thurnher, Herausgeber des „Falter“, eine unabhängige Öffentlichkeit propagiert, jenseits von Lagerbildung und Diffamierung. Wie denkt also Thurnher über Menschen, die an einer öffentlichen Kundgebung gegen die Impfpflicht teilnehmen? In einem Blogbeitrag über eine Demonstration in Wien schreibt er:
„Die Corona-Leugner, die Schwurbler, die Impffeiglinge und die Spritzenscheuen, die Wissenschaftshasser und die medizinischen Besserwisser sind ganz klar die gesellschaftliche Minderheit. Aber die Mehrheit hat ein Problem.“
Noch während ich darüber nachdenke, ob ich eher zu Wissenschaftshass oder Impffeigheit neige, zu Spritzenscheu oder medizinischer Besserwisserei, entdecke ich einen anderen Beitrag aus Thurnhers Feder, in dem er mit soziologischem Feingefühl die Demonstranten in Kategorien einteilt:
„Ziehen wir einmal die Rechtsextremen und die Faschos ab, die nur versuchen, die massenhafte Unzufriedenheit zu instrumentalisieren, zu kapern, für sich zu nutzen, bleibt eine Mehrzahl von Menschen, die man früher vielleicht pauschal als ‚Alternativos‘ bezeichnet hätte.“
Da fällt mir die persönliche Einordnung schon leichter. Da ich mich tendenziell eher nicht für einen Fascho halte, bleibt mir wenigstens der Alternativo. Schließlich wünsche ich mir derzeit kaum etwas sehnlicher als ein öffentliches Nachdenken über Alternativen zur Zwangsimpfung. Wäre da nur nicht dieses ominöse „O“ am Ende des Alternativo. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass es sich hier nicht um eine von vorn nach hinten gewanderte Silbe der freudigen Überraschung handelt, im Sinne von:
„Oh, alternativ!“ Da ist es auch kein Trost, dass der Fascho ebenfalls so ein O am Hintern hat.
Am Ende seiner Typologie der Demonstranten zieht Thurnher noch diskurstheoretisch Bilanz:
„Ob man mit solchen Leuten ins Gespräch kommen kann, weiß ich nicht.“
Also ich finde, es wäre zumindest einen Versuch wert. Und es gäbe auch ein passendes Gesprächsthema, denn Thurnher hat nach seiner O-Soziologie gleich einen praktischen Vorschlag parat, wie man am besten mit solchen Leuten verfährt:
„Kreativere Strafen für Nichtgeimpfte wären denkbar: Kürzlich hörte ich von der Idee einer Coronasteuer: wer sich impfen lässt, befreit sich davon. Auch, dass Nichtgeimpfte, die geimpft werden könnten, vertraglich darauf verzichten, Behandlung im Krankenhaus in Anspruch zu nehmen oder dafür zu bezahlen und erklären, bei Triagen selbstverständlich nachgereiht zu werden, wäre eine Möglichkeit.“
Ein Versuch, mit solchen Leuten ins Gespräch zu kommen, könnte also etwa so aussehen:
„Meine lieben Corona-Leugner, Schwurbler, Impffeiglinge, Spritzenscheuen, Wissenschaftshasser, medizinischen Besserwisser und Alternativos! Ich möchte gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen und etwas Kreatives zur Diskussion stellen: Als Preis für Ihren Verzicht auf die Impfung schlage ich vor, Ihnen eine vertragliche Erklärung abzunötigen, die im Fall des Falles wahlweise Ihre soziale Existenz vernichtet, Ihre Gesundheit ruiniert oder Ihr Leben verkürzt. Und das selbstverständlich.“
Ich fürchte, dass jede mögliche Antwort auf dieses Dialogangebot Herrn Thurnher nur in der Überzeugung bestärken würde: Also mit denen kann man einfach nicht reden!
Aber wozu noch miteinander reden, es gibt wirkungsvollere Mittel, um dem grassierenden Wissenschaftshass etwas entgegenzusetzen. Hass begegnet man am besten mit Liebe. Und so nutzt Thurnher jede Gelegenheit, um seine Liebe zur Wissenschaft demonstrativ zur Schau zu stellen. Dabei macht er sich erst gar nicht die Mühe, etwas über Wissenschaft zu schreiben, sondern er lässt sie gleichsam selbst zu Wort kommen, und zwar in Person des emeritierten Innsbrucker Virologen Robert Zangerle, dem Thurnher in seinem Blog immer wieder Raum für Expertisen gibt. Ein Thurnher denkt nicht, das hat er längst nicht mehr nötig, er lässt denken.
Mit Virologe Zangerle lässt Thurnher freilich nicht irgendeinen Wissenschaftler denken, sondern die Virologie selbst. Die Zeiten, als Wissenschaft noch darin bestand, konträre Positionen so lange in einen Diskurs miteinander treten zu lassen, bis eine von beiden falsifiziert ist, sind seit dem Auftritt von Corona auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Auf den Einwand eines Lesers, dass Virologe Zangerle ja nur eine wissenschaftliche Position unter mehreren vertritt, antwortet Thurnher:
„Für Gegenstimmen, lieber Herr Schön, ist hier deswegen kein Raum, weil dies keine Kolumne einer medizinischen oder medizinisch-politischen Debatte ist. Hier sprechen der Virologe und ich. Wenn sich andere ein Muster daran nehmen, umso besser.“
Der Virologe und ich – als Muster für alle anderen. Was für ein gelungener Beitrag zum öffentlichen Diskurs im herrschaftsfreien Raum! Treffender kann man die derzeitige Praxis des sogenannten Qualitätsjournalismus nicht auf den Punkt bringen. Denn das, worauf Thurnher hier ebenso freimütig wie kokett verzichtet, auf Raum für Gegenstimmen und auf eine medizinische oder medizinisch-politische Debatte, ist genau das, was in den letzten beiden Jahren als Korrektiv der Politik so überaus schmerzlich gefehlt hat. Wie anders wäre der Umgang mit der Pandemie verlaufen, wenn im Öffentlich Rechtlichen Rundfunk und in den Leitmedien eine offene, professionell moderierte Debatte über die kontroversen wissenschaftlichen Positionen stattgefunden hätte!
So aber durfte Virologe Zangerle in Thurhers Blog eine bemerkenswerte Sicht auf eine mögliche Impflicht äußern, noch bevor die Politik sie ins Auge zu fassen wagte:
„Bei Covid steht eine allgemeine Impfpflicht kaum irgendwo zur Diskussion, auch nicht in Österreich. Obwohl es da auch Vorteile gäbe, weil eine Impfpflicht für Unentschlossene eine Erleichterung bringen kann, denn man müsste sich dann nicht mehr rechtfertigen, dass man sich impfen hat lassen.“
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Als wären es derzeit die Geimpften, die unter Rechtfertigungsdruck stehen! Aber wer weiß, was Thurnher sich alles anhören musste, als er in seinem Blog voller Stolz ein Foto seines frisch gepflasterten Arms präsentierte. „Wissenschafts-Junkie“, „Spritzen-Spießer“ oder „Pieks-Popanz“ waren da sicher noch die sanfteren Anwürfe. Das kann niemand wollen, das untergräbt jedes Niveau. Dann schon lieber ein gepflegter publizistischer Absolutismus. Der Staat bin ich – und mein Virologe. Ersparen wir doch einfach dem Pöbel die Überforderung des heiklen Abwägens, indem man ihn mit Staatsgewalt zwingt, sich das zu injizieren, was die Wissenschaft für das Gebot der Stunde hält.
Wenn man indes allzu lange andere für sich denken lässt und sich dann doch einmal in ungeübter Eigenständigkeit auf das Feld der Medizin wagt, dann muss man beim Selberdenken wieder ganz von vorn anfangen. So kann man Thurnher gelegentlich dabei ertappen, wie er bei einem kecken Erstversuch auf dem Gebiet der Kinderheilkunde in Niveaugefilden landet, die man nicht einmal auf den Leserbriefseiten des Boulevards findet:
„Maske tragen ist keine Folter und Kindern durchaus zumutbar, denen ja auch das Tragen von Unterhosen relativ früh zugemutet wird.“