Das ungeimpfte Flintenweib

Eine Antwort auf Elfriede Hammerl, Kolumnistin des "Profil".

Es war im Sommer, da stand ich im Supermarkt vor der Wursttheke neben einer Dame, die sich mit der Verkäuferin unterhielt. Die beiden Frauen kannten sich, ich hatte keine Eile und lauschte dem regen Geplauder. Irgendwann erzählte die Verkäuferin, dass sie auf einer Geburstagsfeier war. Wie sich später herausstellte, war einer der Gäste mit Corona infiziert. „Getestet zwar, doch ungeimpft.“ Gott sei Dank habe sich nur einer aus der Feierrunde bei ihm angesteckt, leider ausgerechnet das geimpfte Geburtstagskind.

Die gebannt lauschende Dame neben mir schnaufte vernehmlich unter ihrer Maske und rief: „Also wenn ich gewusst hätte, dass so einer neben mir steht!“ Was sie dann getan hätte, ließ sie offen, und ich dachte bei mir: Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass so einer in diesem Augenblick neben ihr steht, getestet zwar, doch ungeimpft. Würde sie angewidert einen Satz beiseite machen oder gar fuchtelnd und fluchend aus dem Laden flüchten?

Das Bemerkenswerte an dieser Episode ist, dass ich der Dame heute etwas völlig anderes erwidern würde als zum Zeitpunkt ihrer Empörung. Im Sommer hätte ich sie noch beruhigen können: „Keine Sorge, gute Frau, als geimpfter Mensch bist du doch geschützt und brauchst keine Angst zu haben vor einem ungeimpften.“ Heute, ein halbes Jahr und Hunderttausende Impfungen und Inzidenzen später, könnte ich das nicht mehr erwidern, heute müsste ich zu der Verkäuferin sagen: „Gute Frau, wieso bist du dir so sicher, dass der Ungeimpfte das geimpfte Geburtstagskind angesteckt hat und nicht umgekehrt? Wenn hier einer Angst haben müsste, dann doch wohl ich, und zwar vor euch! Denn ich muss mich permanent testen lassen, ihr aber nicht.“ So ändern sich die Dinge.

An diese Begegnung musste ich denken, als ich im „Profil“ eine Kolumne von Elfriede Hammerl las, in der sie eine Typologie der Impfgegner entwirft, genauer der „Impfgegner:innen“, schließlich ist Hammerl eine Frauenrechtlerin der ersten Stunde. Aber das Exemplar, das sie beschreibt, ist eine Impfgegnerin ohne Doppelpunkt, eine Nicole:

„Jetzt höre ich, Nicole lässt sich nicht gegen Corona impfen, und es wundert mich nicht. Ich bin gesund, sagt sie. Mein Immunsystem ist super. Mir kann nichts passieren. Ich bin was ganz Besonderes.“

Das Ausbleiben von Verwunderung legt nahe, dass wir es bei der besonderen Nicole nicht mit irgendeiner, sondern mit einer typischen Impfgegnerin zu tun haben. Was also ist diese Frau für ein Typ?

Nicole glaubt, ihre erträumte Karriere als Sängerin sei nur daran gescheitert, dass ihre Eltern sie nie für ihren Gesang gelobt haben. Dabei ist Nicole, so Hammerl, „musikalisch wie ein Holzschuh“. Nicole beschließt, bei ihren Kindern alles anders zu machen. Sie lobt sie für alles über alle Maßen, aber eines ihrer Kinder, bezeichnenderweise wieder eine Tochter, ist in der Schule so erfolglos wie Nicole einst beim Singen. Doch Nicole gibt ihrer Tochter zu verstehen, sie sei etwas Besonderes, dabei ist sie, so Hammerl, „allenfalls besonders faul“. Schuld am Misserfolg ist nur die Lehrerin, „diese blöde Kuh“, Narzissmus und Realitätsverdrängung sind für Nicole, die gern mal ihren Hintern vergeblich in eine „Jeans der Größe 27 zwängt“, nun einmal Programm.
Alles in allem also ein eher unerquickliches Mutter-Tochter-Duo, die eine talentfrei, die andere faul, und beide eint eitle Selbstüberschätzung. Aber Hand aufs Herz: Jeder, beinahe hätte ich gesagt: jedermann, kennt so eine Nicole. Sie nervt, sie zickt, sie jammert, ständig geht es um ihre Bedürfnisse, und wenn etwas nicht passt, sind stets die anderen schuld.

Sicher kennt auch jeder das Gedankenspiel in Pandemiezeiten, wenn man einem Menschen begegnet und sich fragt: Ist der geimpft oder ungeimpft? Also bei Nicole hätte ich gewettet: zu hundert Prozent geboostert! Oder kann sich jemand im Ernst vorstellen, dass so eine Tussi auf Egotrip freiwillig auf Kino, Kosmetik, Fitnessstudio, Friseur, Yogakurs und Musicalprobe verzichtet? Unter all den Tausenden und Abertausenden, dich sich nicht gegen das Virus, sondern gegen die Maßnahmen der Regierung impfen lassen, hätte sich eine Nicole samt ihrem bildungsfernen Nachwuchs doch mit den Ellbogen in die erste Reihe der Impfstraße gedrängelt. Frustrationsintolerant, wie sie nun einmal ist, hätte sie es wohl kaum lange ausgehalten, wegen ihrer Überzeugung ausgegrenzt, verhöhnt, diffamiert und wie eine Aussätzige behandelt zu werden.

Das Bemerkenswerte an Hammerls Typus der typischen Imfgegnerin ist also, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt. Und weil es ihn nicht gibt, bietet sich jede Menge Raum für Projektionen. Man kann Hammerl regelrecht dabei zusehen, wie sie diesem unsympathischen Pummelchen in der viel zu engen Jeans so ziemlich alles andichtet, was sich beim Stöbern im Arsenal der frauenfeindlichen Klischees finden lässt. (Niemand kennt sich bei so etwas besser aus als eine Feministin.) Aber aus einem Ressentiment entsteht nun einmal kein wahrhaftiges Menschenbild. Dieses bösartige Zerrbild einer dümmlichen Person als Paradebeispiel für eine Impfgegnerin dient vor allem einem Zweck: Es bewahrt davor, auch nur einen Gedanken daran verschwenden zu müssen, welche Gründe ein Mensch tatsächlich für seine Entscheidung haben könnte, sich nicht impfen zu lassen.

Aber wir wollen mal nicht so sein. Corona ist wie Fasching, da darf man alles, Hauptsache, man kühlt sein Mütchen an der Richtigen. Und ist die Mottenkiste des Ressentiments einmal geöffnet, gibt es für den Hass kein Halten mehr. Was für ein widerliches Weibsbild entsteht da vor unseren Augen, wenn Hammerl ihre Fantasie des ungelobten Luders weiterspinnt:

„Nicole und Co reißen sich – und auch anderen – die Masken vom Gesicht. Sie greifen medizinisches Personal an, blockieren Krankenhauszufahrten, gehen auf Kameraleute los, belästigen Reporter:innen.“

Ach, hätte man nur den schaurigen Gesang dieser Nicole öfter gelobt oder wenigstens bisweilen ihren Hintern auf 27 geschätzt! Dann wäre uns diese rasende Corona-Furie erspart geblieben. Wie skrupellos und unbelehrbar solche Frauenzimmer sind, macht Hammerl am Ende noch einmal an einem deftigen Beispiel deutlich, damit es auch die letzte blondierte Dumpfbacke versteht:

„Nicoles Empörung richtet sich mittlerweile vor allem dagegen, als Ungeimpfte aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Das geht nicht. Dagegen muss sie schärfstens protestieren. Na ja, sage ich, ich möchte im Theater nicht neben einem sitzen, der eine geladene und womöglich entsicherte Pistole in der Hand hat. So jemand sollte ausgeschlossen werden, finde ich. Du nicht? Sie versteht nicht, was ich meine. Das habe ich befürchtet.“

Das ruft mir noch einmal mein Erlebnis im Supermarkt in Erinnerung. Ich rätsele ja bis heute, was die Dame neben mir wohl für ein Bild im Kopf hatte, als sie sagte: „Also wenn ich gewusst hätte, dass so einer neben mir steht!“ Hatte sie womöglich eine Vision, was so einer sonst noch tun könnte, außer heimtückisch mit seinen Viren über sie herzufallen? Doch was würde sie erst sagen, wenn sie erführe, dass sie im Theater neben so einer wie Nicole gesessen hat? Obwohl die Dame im Supermarkt keineswegs hart und schrundig wirkte wie Urgestein, schon gar nicht wie feministisches, hätte sie sicher den gleichen Gedanken gehabt wie Frau Hammerl:

Oh Gott! Jetzt bin ich haarscharf daran vorbeigeschrammt, dass dieses Miststück mir eine Kugel verpasst. Und wie ich diese ungeimpften Flintenweiber kenne, hätte sie mir noch die Maske vom Gesicht gerissen, bei meinem Transport ins Spital die Zufahrt blockiert und dem Chirurgen eine gescheuert!