Menschen, die öffentlich gegen die Verhängung der Impfpflicht demonstrieren, sind derzeit allerlei Diffamierungen ausgesetzt. Die wuchtigste ist zweifellos die Unterstellung einer Nähe zum Rechtsradikalismus. Worin besteht nun die Gemeinsamkeit zwischen Rechtsextremismus und der Ablehnung der Impfpflicht?
Die verschiedenen Spielarten des Rechtsextremismus verbinden drei zentrale Inhalte: Demokratiefeindlichkeit, Ausländerhass und Nähe zu NS-Gedankengut. Darum noch einmal konkreter gefragt: Inwiefern ist jemand, der öffentlich gegen die Impflicht demonstriert, ein Demokratiefeind? Was ist daran ausländerfeindlich, was NS-lastig? Wo ist hier die Brücke? Antwort: Es gibt sie nicht, jedenfalls nicht auf der inhaltlichen Ebene. Die Berührungspunkte liegen nicht auf der Hand, sie müssen konstruiert werden. Neudeutsch: Es ist ein Framing, eine zweckgebundene Verklammerung zweier völlig unterschiedlicher Phänomene. Welcher Rahmen wird hier also hergestellt, von wem und zu welchem Zweck?
Eines vorweg: Das Framing wird derzeit von beiden Seiten betrieben, von den Demonstranten gegen die Impfpflicht und von den Gegnern dieser Demonstranten. Zunächst ein Wort zum Framing der Demonstranten. Bereits im Mai des Vorjahres, als alle Politiker noch Hand aufs Herz beteuerten, eine Impfpflicht werde es nicht geben, habe ich in diesem Blog geschrieben, was mich bei allem Verständnis für die Anliegen der Proteste bislang davon abgehalten hatte, an ihnen teilzunehmen. Zunächst einmal der Gedanke, mit freiheitlichen Funktionären die Straße teilen zu müssen. Und dann noch etwas Zweites:
„Offen gesagt, schrecken mich auch andere Teilnehmer kaum weniger ab, solche etwa, die einen Judenstern mit der Aufschrift ‚Ungeimpft‘ tragen. Was für eine monströse Gedanken- und Geschmacklosigkeit, die sich eitel anmaßt, mit dem eigenen Prostest auf einer Stufe mit Menschen zu stehen, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Eine dümmliche Verharmlosung des Holocaust.“
Das war noch lange vor der Einführung der Impflicht, noch bevor die Politik, unterstützt von den Leitmedien, die populistische Mär von der „Pandemie der Ungeimpften“ in die Welt setzte, um den allgemeinen Frust über den erneuten Lockdown auf einen Sündenbock zu lenken. Danach ging eine Welle der Empörung durchs Land, die mit voller Wucht auf die nicht geimpften Menschen niederging, als Verhöhnung, Diskriminierung, Erpressung und Gefährdung ihrer sozialen Existenz.
Jetzt ist die Impfplicht beschlossen, und ich habe mehrmals aus tiefster Überzeugung an Demonstrationen gegen diese ungeheure Grenzüberschreitung teilgenommen, bin stundenlang mit abertausenden Menschen durch die Wiener Innenstadt gezogen und kann mitteilen: Ich habe keinen einzigen Judenstern gesehen. Womit ich nicht behaupte, dass es sie nicht gibt. Aber die Träger sind offenbar eine winzige Minderheit, und man kann ihnen ja alles Mögliche unterstellen, aber sicher keine Nähe zu NS-Gedankengut. Aber allein das festzustellen ist inzwischen tabu, wie man am Umgang des „Tagespiegel“ mit seinem Star-Kolumnisten Harald Martenstein sehen kann. Martenstein hatte in seiner Kolumne geschrieben:
„Der Judenstern soll seine modernen Träger zum absolut Guten machen, zum totalen Opfer. Er ist immer eine Anmaßung, auch eine Verharmlosung, er ist für die Überlebenden schwer auszuhalten. Aber eines ist er sicher nicht: antisemitisch. Die Träger identifizieren sich ja mit den verfolgten Juden.“
Der „Tagesspiegel“ löschte daraufhin kurzerhand die Kolumne, was Martenstein dazu veranlasste, seine Arbeit als Blatt-Kolumnist nach 34 Jahren einzustellen.
Zurück zu den Protesten: Die überwältigende Mehrheit der Menschen, die ich gesehen habe, tragen keine Judensterne, sondern Plakate, die sich gegen die übergriffigste und riskanteste Maßnahme wenden, die jemals in der Zweiten Republik von einer Regierung beschlossen wurde. Eine Maßnahme, die den Menschen in einer überaus heiklen Risikoabwägung das Recht abspricht, über das eigene körperliche Wohl frei zu entscheiden. Eine Maßnahme, die Menschen unter Androhung von Strafe zwingt, an einem medizinischen Experiment teilzunehmen. Ich weigere mich, einigen fragwürdigen Personen oder Gruppen die Macht zu verleihen, mich von Kundgebungen gegen diese brutale Zwangsmaßnahme abzuhalten.
Dass es den meisten Protestierenden nicht um rechtes Gedankengut geht, erkennt man schon daran, dass sie bei den letzten Wahlen nicht in Scharen die Freiheitlichen gewählt haben, sondern dankbar die Möglichkeit genutzt haben, ihren Protest mit einem Kreuz bei der MFG Ausdruck zu verleihen. Allmählich scheint es ja auch einigen Landespolitikern zu dämmern, was sie da in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zur Bestrafung der Ungeimpften beschlossen haben. Das große Zurückrudern aus Angst vor der drohenden Vergeltung an der Wahlurne hat bereits begonnen.
Wenn wir für einen Augenblick das Framing verlassen, dann stellt sich zwangsläufig die Frage: Sind Herbert Kickl als Demo-Teilnehmer oder ein paar peinliche Judensterne Grund genug, um sich eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Protestierenden ersparen zu können? Denn genau das geschieht derzeit in einem erschreckenden Ausmaß.
So schreibt etwa der Historiker Gerhard Zeilinger am 6. Februar im Standard:
„Dieses Phänomen kennt man, seit die Corona-Leugner aktiv sind: Fakten werden verdreht, die Verhältnisse einfach umgekehrt, und wir Vernunftbegabten und Verantwortungsbewussten, die in der Corona-Impfung den lebensrettenden Sinn erkennen, sind plötzlich die Nazis von gestern, während die Impfverweigerer und Schwurbler, die mit amtsbekannten Neonazis und Identitären aufmarschieren, sich als die von staatlicher Repression Verfolgten, ja, die ‚Juden‘ darstellen.“
Bemerkenswert ist Zeilingers strenge Scheidung der Menschen in zwei Gruppen: auf der einen Seite die Schwurbler, Corona-Leugner, Impfverweigerer und Nazis – auf der anderen „wir Vernunftbegabten und Verantwortungsbewussten“. Im Umkehrschluss heißt das: Wer gegen die Impfpflicht protestiert, ist nicht vernunftbegabt. Damit wird die gern bemühte Unterstellung der grassierenden Bildungsferne unter den Impfskeptikern auf die Spitze getrieben. Zum Wissen um das Wahre und Gute fehlt diesen Kretins nicht nur die Bildung, sondern gleich die Begabung. Hoffnungslose Fälle, zweifellos.
Das Bedenkliche an dieser Haltung ist die intellektuelle Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit. Wenn ich jemandem die Begabung zur Vernunft abspreche, brauche ich mich nicht mehr mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen. Ein Phänomen, das die Schweizer Psychoanalytikerin Jeanette Fischer in einem Gespräch mit Gunnar Kaiser treffend als „gefährliche Faulheit“ bezeichnet hat.
Wie gefährlich diese Denkfaulheit für die Demokratie werden kann, kam augenfällig in der Art und Weise zum Vorschein, mit der ORF-Anchorman Armin Wolf am 30. Jänner auf einen Brief des Verfassungsgerichtshofs an den Gesundheitsminister reagierte. Der Vfgh hatte auf fünf Seiten ein Konvolut an Fragen aufgelistet, die es in sich haben: zur Zählweise der Krankenhausbelegung und den gemeldeten Todeszahlen, zum Covid-Sterberisiko, zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Impfung, zur Sinnhaftigkeit von Lockdowns im Allgemeinen und für Ungeimpfte im Besonderen.
Einen ganzen Tag lang wurde in den Sozialen Medien heftig darüber spekuliert, ob das Schreiben überhaupt echt sei. Als sich die Echtheit herausstellte, war Armin Wolf einer der Ersten, der reflexhaft in seinem Twitter-Account reagierte:
„Der Brief des von der FPÖ nominierten Verfassungsrichters Andreas Hauer wird jedenfalls von Quer- und ‚Selberdenkern‘ bereits bejubelt wie ein neues Bhakdi-Buch.“
Da ist es wieder, das Framing, alles komprimiert in einen Satz: Bhakdi – war das nicht der Leugner, der sich als Antisemit entpuppt hat? Was kann dieser Fragenkatalog schon wert sein, wenn er von einem Vfgh-Richter unterzeichnet ist, den die FPÖ nominiert hat? Und die Selberdenker stehen natürlich in Anführungszeichen. Fazit: Das Schreiben ist nicht einen einzigen Gedanken wert, geschweige denn ein Argument (das man bei Wolf in der Tat vergeblich sucht). Ab in den Papierkorb damit! Denkfauler geht’s nicht mehr.
Wolfs Reaktion steht symptomatisch für das größte Medienversagen der Zweiten Republik, und das gleich auf zwei Ebenen. Zunächst einmal springt das Messen mit zweierlei Maß ins Auge. Hatten die Leitmedien nicht vor Kurzem noch lautstark protestiert, als die ÖVP versuchte, die gegen Sebastian Kurz ermittelnde Justiz anzugreifen? Lasst sie arbeiten!, hieß es, und niemand fragte, wer wen nominiert hatte. Gilt das jetzt auf einmal nicht mehr?
Doch das weit größere Ärgernis liegt auf einer anderen Ebene. Im Schreiben des Verfassungsgerichtshofs werden lauter Fragen gestellt, die die Leitmedien seit zwei Jahren der Regierung nicht und nicht gestellt haben. Hier schickt sich die Dritte Gewalt im Staate an, die Aufgaben der Vierten zu übernehmen. Und die Medien reiben sich verwundert die Augen. Das Schreiben enthalte Themen, „die unter Corona-Skeptikern en vogue sind“, schreibt die „Kleine Zeitung“. En vogue – als seien solche Fragen eine vorübergehende Modeerscheinung. Aber mehr dürfen sie ja auch nicht sein, zu mehr als geistige Mode sind Menschen ohne Vernunftbegabung nicht fähig.
Der veritable Skandal bei alldem besteht aber zweifellos in der Tatsache, dass die Regierung Ungeheuerlichkeiten beschlossen hat wie Lockdowns, monatelange Ausgrenzung ungeimpfter Menschen und schließlich gar den allgemeinen Impfzwang – und das obwohl diese so entscheidenden Fragen bislang nie transparent beantwortet wurden. Ein paar ungewohnte Fragen von ungewohnter Seite – mehr war nicht nötig, um das Kartenhaus des offiziellen Corona-Narrativs gehörig ins Wanken zu bringen.