Es ist schon zu einer kleinen Tradition geworden, dass die Demonstranten gegen die Impfpflicht nach den Reden der Initiatoren eine Runde um den Wiener Ring marschieren. Da sie dabei zwangsläufig am Burgtheater vorbeikommen, hat die Theaterleitung ihnen eine Grußbotschaft beschert. Auf einem Transparent über dem Eingang steht: „Macht nicht so ein Theater! Impfen gegen Corona!“
Das erinnert mich an meine Kindheit. Immer wenn ich meinen Eltern lästig war, weil ich mich allzu lautstark über etwas beklagt hatte, bekam ich zu hören: „Mach nicht so ein Theater!“ Eines war dann unmissverständlich klar: Der Anlass, der mein „Theater“ ausgelöst hatte, wurde für null und nichtig erklärt. Ich wusste, ich würde für mein Anliegen kein Gehör finden. Jetzt weiter zu insistieren würde mir nur Ärger einbringen. Es war eine Form der Diskussionsverweigerung durch die Herstellung eines hierarchischen Ungleichgewichts: Es gibt jemanden, der grundlos nervt, und es gibt jemanden, der die erzieherische Macht hat, das mit einem lapidaren Satz abzustellen. Die Demütigung, die in diesem Vorgang liegt, ist gewollt, sie ist Teil der Erziehung.
Und genauso begegnet jetzt ein Staatstheater jenen Menschen, die sich mit ihrem öffentlichem Protest gegen einen Staat zur Wehr setzen, der sich anmaßt, Menschen zu einer bedingt zugelassenen medizinischen Maßnahme zu zwingen.
Das Burgtheater bietet hier eine eigenwillige Interpretation des Theaters als „moralische Anstalt“. Schiller hatte mit diesem Konzept die Bühne zu einem Ort der Aufklärung erhoben, zum Schauplatz der Einübung in Gedankenfreiheit. Die heutige Leitung des Burgtheaters verkehrt das Konzept ins Autoritär-Pädagogische, die Bühne verkommt zu einer Erziehungsanstalt für die Ungefügigen. Die Botschaft ist mehr als deutlich: Wir nehmen euch noch nicht einmal mehr so ernst, dass wir mit euch in Diskussion treten. Was ihr treibt, ist unnötiges Gezeter. Macht kein Theater und tut endlich, was der Staat von euch verlangt: Geht impfen!
Was für eine Herablassung, welch ein Niedergang einer einst kritischen, oft auch provokanten Institution, die einmal den Anspruch hatte, gesellschaftlich heikle Themen auf offener Bühne zu verhandeln. Das Theater George Taboris, Claus Peymanns und Thomas Bernhards hat sich einen reaktionären Erziehungsgestus zu eigen gemacht hat, es ist spießig geworden. Selten hat eine öffentliche kulturelle Institution so radikal den eigenen Anspruch auf öffentliche Relevanz verspielt.
Arroganz ist oft ein Ausdruck von Gekränktheit, eine Reaktion auf den Verlust von Bedeutung. Vielleicht liegt in dem buchstäblichen Von-oben-Herabblicken auf die Demonstranten ja am Ende ein Funke Neid, ein beleidigter Reflex des einstigen Platzhirschs: Was bildet ihr euch ein, ihr da unten, hier spielt das Theater!
Und es ist ja auch wahr: Wer hätte während der letzten zwei Jahre je auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was diese einstmals bedeutende Bühne zum Umgang mit der Pandemie zu sagen hat? Das wahre Theater spielt sich derzeit auf vielen Schauplätzen ab, aber ganz sicher nicht im ehemaligen K.K. Hofburgtheater.