Frühjahr 2021, in einer österreichischen Behörde
Die Delta-Variante zieht durchs Land, die Corona-Impfung läuft auf Hochtouren. Ich werde Zeuge eines Dialogs zwischen zwei weiblichen Angestellten der Behörde, eine von ihnen hat einen akademischen Titel. Thema des Gesprächs ist ein Geburtstagsfest, bei dem ein Ungeimpfter angeblich andere Gäste angesteckt habe. Die Erzählung mündet in folgenden Dialog:
„War der Ungeimpfte nicht getestet?“
„Schon, aber die Tests sind ja nicht zuverlässig.“
„So ein Trottel!“
„Wenn ich wüsste, dass so einer neben mir steht…“
Ich überlege mir: Was wäre, wenn die Angestellte wüsste, dass so einer gerade vor ihr steht? Einer, der täglich auf der Arbeit das Gleiche tut wie der ungeimpfte Geburtstagsgast: getestet den Raum mit anderen, zumeist ungetesteten Menschen teilen.
Frühjahr 2022, in der gleichen Behörde
Die Omikron-Variante zieht durchs Land, in Österreich gilt inzwischen die Impfpflicht. Wieder bin ich Zeuge eines Dialogs der beiden Angestellten. Das Gespräch mündet in folgenden Dialog:
„Wahnsinn, dass wir echt noch Ungeimpfte einstellen!“
„Ein Arzt hat gesagt, dass die Impfung nur noch zum Selbstschutz dient.“
„Was heißt das?“
„Dass eine Impfung nur vor einem schweren Verlauf schützt. Nicht davor, dass man andere ansteckt.“
Eine kurze Pause entsteht, dann erwidert die Erste:
„Aber man hat doch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.“
„Wir können ja die Behördenleitung auffordern, im nächsten Stelleninserat ausdrücklich die Impfung zu verlangen.“
Der Dialog scheint mir symptomatisch zu sein für die wachsende moralische Hyperventilation und geistige Selbstimmunisierung rund um die Corona-Impfung.
War es anfangs schon seltsam, dass die Impfung an sich nicht als Schutz ausreichte, um sich vor dem Virus und seinen vermeintlichen Verbreitern sicher zu fühlen. (Und das, obwohl ursprünglich noch ein 95-Prozent-Schutz versprochen wurde.) Im Grunde haben die Geimpften offenbar der Impfung nie wirklich vertraut.
Doch dann betraten die Moralisten die Bühne, mit der Botschaft: Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet seine Mitmenschen! All die Diffamierung und Erpressung, die über die ungeimpften Bürger hereinbrach, beruhte auf dieser moralischen Blase: Wir schützen andere Menschen, ihr gefährdet sie. Wir sind moralisch, ihr seid asozial.
Dabei war schon bald klar, dass die Impfung so gut wie keinen Schutz vor Ansteckung anderer bietet. Virologen wie Alexander Kekulé und sogar Christian Drosten hatten schon vor Monaten darauf hingewiesen. „Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“ Man dürfe daher nicht von einer „Pandemie der Ungeimpften“ reden, so Drosten bereits im Herbst 2021.
Spätestens in diesem Moment war die moralische Blase geplatzt. Doch just zum diesem Zeitpunkt, im November 2021, verhängt man in Österreich einen Lockdown für Ungeimpfte. Bundeskanzler Schallenberg spricht von einer „Pandemie der Ungeimpften“, man könne nicht hinnehmen, dass die Mehrheit von einer Minderheit in Geiselhaft genommen werde. Nun sind ungeimpfte Menschen bereits Geiselnehmer, die Kriminalisierung schreitet voran. Kurz darauf wird die Einführung der allgemeinen Impfpflicht verkündet.
Wie konnte es dazu kommen?
Den beiden Angestellten in der Behörde war die offenkundige Widersprüchlichkeit ihres moralischen Urteils nicht aufgefallen. Denn wie kann ich auf der einen Seite feststellen, dass die Impfung eine Ansteckung nicht verhindert, und im gleichen Atemzug fordern, dass die Impfung zur Bedingung für eine Anstellung gemacht wird, damit niemand mehr angesteckt wird? Offenbar war die moralische Blase so dicht, dass sie vor jeder Reflexion immunisierte. Man fühlte sich spürbar wohl in der Höhenluft der Tugendhaften. Wer gehört nicht gern zur Gruppe der Guten und zu Recht Privilegierten?
Hier mag man noch entlastend einwenden, dass die beiden Frauen sich nur in jener falschen Moral ergingen, die von Politik und Medien unentwegt propagiert wurde. Dass jedoch die Politiker sich vor aller Augen in den gleichen Moraltümpeln suhlten, ist einer der größten Skandale der gesamten Corona-Zeit. Denn in dieser Blase aus falscher Moral wurden die harten Diskriminierungsmaßnahmen gegen eine Minderheit ausgebrütet: monatelanger Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, Strafandrohungen, Jobverlust, Erpressung, Diffamierung.
Es ist nicht vorstellbar, dass die medizinischen Berater der verantwortlichen Politiker nicht wussten, wovor führende Virologen wie Drosten und Kekulé warnten. Im Grunde hätte bereits die Lektüre von Clemens Arvays Buch „Corona-Impfung – Rettung oder Risiko?“ ausgereicht, um das Narrativ ins Wanken zu bringen. Das Buch war bereits Anfang 2021 erschienen. Arvay hatte nichts anderes getan, als die vorliegende Daten- und Studienlage zur Impfung auszuwerten. Sein Befund: Wenig bis gar nichts weist darauf hin, dass die Impfstoffe eine sterile Immunität erzeugen, sprich: eine Weitergabe des Virus verhindern. Heute wissen wir, dass die Hersteller nie einen Infektionsschutz auch nur überprüft hatten. Sie haben es selbst zugegeben. Das hätte man alles wissen können, wenn man nachgefragt und solche Fragen nicht als Schwurbelei abgetan hätte.
Aber man wollte es nicht wahrhaben, die Politik war längst in einem üblen Populismus gefangen. Man brauchte einen Sündenbock für das schmähliche Scheitern der postulierten Strategie, das Virus einfach aus der Welt zu impfen. Wer bot sich da besser an als jene Menschen, die sich dieser Strategie von Anfang an verweigert hatten: die Ungeimpften?
Gleichzeitig glaubte man in konsequenter populistischer Verblendung, alle jene belohnen zu müssen, „die alles richtig gemacht hatten“ (Schallenberg), die sich also brav hatten impfen lassen. Offenbar wusste man nur zu gut, dass die Impfung selbst, der versprochene Schutz gegen Infektion und Ansteckung, als Belohnung nichts taugte, weil die Impfstoffe weder das eine noch das andere leisteten. Noch nicht einmal der Schutz vor einem schweren Verlauf war wirklich gesichert, die Zahl der mehrfach geimpften Patienten auf den Intensivstationen stieg schon im Jahr 2021 von Woche zu Woche.
Es ist derzeit viel davon die Rede, ob zur Verarbeitung der vergangenen drei Corona-Jahre eine Entschuldung nötig sei. Doch noch vor jeder Entschuldigung muss die echte Einsicht stehen, dass das propagandistische Diffamierungsdiktum von der „Pandemie der Ungeimpften“ ein katastrophaler Fehler war, eine bewusste Eskalation wider besseres Wissen und überdies ein gefährlicher politischer Dammbruch. Es war das Initiationssignal zu einer beispiellosen Hetzkampagne, die ihren bösartigsten Ausdruck in der Forderung des Spiegel-Journalisten Nikolaus Blome fand: „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen!“
Die Republik hat mit dem Finger auf sie gezeigt – und damit eine Blase pharisäerhafter moralischer Überlegenheit geschaffen. Die Blase ist geplatzt, es herrscht nun ein unangenehmes, peinliches Schweigen, wie beim Erwachen aus einem Rausch, das Katergefühl nach einer hemmungslosen Moralorgie. Sobald die Reste des toxischen Moralins abgebaut sind, muss eine Aufarbeitung folgen! Sonst wird der Spalt in der Gesellschaft bleiben, und eine solche Entgrenzung kann sich jederzeit wiederholen.
Die Lüge von der Pandemie der Ungeimpften hat übrigens, abgesehen von ihrem Diskriminierungseffekt, noch einen anderen, tatsächlich moralischen Aspekt, der häufig übersehen wird. Noch einmal zurück zu den beiden Angestellten in der Behörde: Wenn nicht einmal die Politik ihre Entgleisung reflektiert, dann ist wohl kaum anzunehmen, dass den beiden Damen jemals nachträgliche Skrupel wegen ihrer Verurteilung des Partygastes gekommen wären. Denn warum sollte auf dem erwähnten Fest ausgerechnet ein negativ getesteter Ungeimpfter das Geburtstagskind angesteckt haben? Viel wahrscheinlicher ist doch wohl eine Ansteckung durch einen der Geimpften, die sich ja alle aufgrund der 3G-Regel nicht testen mussten.
An diesem einfachen Beispiel wird der ungeheure Skandal der willkürlichen G-Regeln sichtbar. Abertausende Geimpfte haben ihr soziales Leben monatelang ungetestet weiterführen dürfen und dabei Abertausende Menschen angesteckt. Viele dieser angesteckten Menschen sind krank geworden, einige davon gestorben. Heute gibt es keinen Zweifel mehr: Die populistische Belohnung der Geimpften hat Menschenleben gekostet. Auch dafür wird sich die Politik verantworten müssen.
Nachtrag, 15.01.2022:
Am Schluss meines Beitrags erhebe ich gegen die Regierung den denkbar schwersten Vorwurf: nämlich eine populistische Politik betrieben zu haben, die Menschenleben gekostet hat. Den gleichen Vorwurf erhebt inzwischen auch der Virologe Alexander Kekulé, der drei Jahre lang einen Corona-Podcast auf einem öffentlich rechtlichen Sender (MDR) betrieben hat und dessen Urteil man schwerlich als Schwurbelei abtun kann. Kekulé zieht in einem Interview mit der „Welt“ eine vernichtende Bilanz der Corona-Politik, die er als „das bisher größte Staatsversagen der Geschichte“ bezeichnet: „Die Idee, dass die Geimpften bevorzugt werden sollten, war eines der gefährlichsten Manöver in dieser Pandemie. Der Unsinn, Geimpfte trügen kaum zum Pandemiegeschehen bei, stand ja sogar auf der Website des Robert-Koch-Instituts und wurde so zur Grundlage falscher Gerichtsentscheidungen. Die 2G-Regelung hat die Herbstwelle 2021 mitbefeuert und viele vermeidbare Todesfälle verursacht.“