„Du sollst nicht grippevergleichen!“ Das ist derzeit eines der Gebote, mit denen die Gläubigen den Ungläubigen begegnen. Wie konnte es dazu kommen? Anfangs war der Grippevergleich wohl nur ein Versuch, das Coronavirus einordnen zu können. Es lag ja auch näher, das neuartige Phänomen mit der Grippe als etwa mit Aids oder Asthma zu vergleichen. Schließlich gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Die Übertragungswege und Symptome sind ähnlich, die Risikogruppen die gleichen, und das Spektrum des Verlaufs reicht in beiden Fällen von harmlos bis tödlich.
Inzwischen gehört das Schmähwort „Grippevergleicher“ aber in eine Reihe mit „Corona-Leugner“, „Covidiot“ oder „Verschwörungstheoretiker“. Grippe und Corona dürfe man auf keinen Fall vergleichen, weil Corona viel gefährlicher sei. Dieses Argument basiert auf einer seltsamen Logik, die ich an einem Beispiel verdeutlichen möchte. Die kleine Esther hat zwei Freunde: Kevin und Lars. Esther möchte wissen, wer von beiden der Größere ist. Also nimmt sie ein Maßband und misst ihre Freunde. Ein Lehrer sieht das und ermahnt die Kleine: „Du darfst Kevin nicht mit Lars vergleichen!“ – „Warum nicht?“ – „Weil Lars größer ist.“
Zurück zum Grippevergleicher, der eigentlich gar nicht so heißen dürfte. Die richtige Bezeichnung wäre gemäß der Schmähintention: „Grippegleichsetzer“. Die sprachliche Ungenauigkeit hat, wie so oft, einen tieferen Grund. Hätten nämlich die Ungläubigen Corona wirklich mit Aids oder Asthma verglichen, wäre es ein Leichtes gewesen, sie als Covidioten zu entlarven und die Kampfbegriffe „Aids-Vergleicher“ oder „Asthma-Vergleicher“ wären nie entstanden. Der Grippevergleich ist für die Gläubigen ja gerade deswegen ein Skandal, weil er so nahe liegt.
„Aber Corona ist doch etwas völlig anderes!“, empören sich sogleich die Gläubigen. „Es ist viel ansteckender als die Grippe, die Symptome sind schlimmer und die Folgeschäden ärger.“ Ansteckender als, schlimmer als, ärger als – fällt Ihnen was auf? Richtig: Lauter Vergleiche! Grippevergleiche sind offenbar nur für die eine Seite tabu. Die Gläubigen dürfen den Ungläubigen derart gesalzene Grippevergleiche um die Ohren hauen, dass denen Hören und Sehen vergeht.
Ein Vergleich kann so und so ausgehen. Wer Corona mit der Grippe vergleicht, könnte ja auch zu dem Schluss kommen, dass man die Grippe bisher schmählich unterschätzt hat. 25.000 Grippe-Tote allein in Deutschland waren 2018 gerade mal eine Randmeldung wert. Aber eine solche Verharmlosung wird uns künftig nie wieder passieren! Das werden ganz sicher die wachsamen Coronavergleicher verhindern.