Der „Leugner“ ist ein emotional hoch aufgeladener Begriff. Wer etwas leugnet, tut das meist hartnäckig oder standhaft. Sprachgeschichtlich ist der Leugner mit dem „Lügner“ verwandt. Leugnen kann man etwas, das einem persönlich zur Last gelegt wird, etwa ein Verbrechen. Zum Leugner kann man aber auch werden, indem man eine allgemein anerkannte Tatsache in Frage stellt. In beiden Fällen geht es wesentlich um Schuld. Jede Zeit hat ihre Leugner, sie braucht sie geradezu, weil Leugner die Grundüberzeugungen einer Gesellschaft zugleich reizen und stärken.
Der prominenteste Leugner der letzten Jahrzehnte war der Holocaustleugner. Er hat den Grundkonsens eines historischen Neuanfangs in Frage gestellt, das emphatische Bekenntnis: „Nie wieder!“ Der Holocaustleugner hatte ein eindeutiges Profil: Er hat den Massenmord an den Juden geleugnet, indem er tausende Zeit- und Augenzeugenberichte für null und nichtig erklärte. Es war ein Tabubruch, dessen Perfidie darin bestand, dass er die denkbar größte Kränkung sämtlicher Angehöriger und Nachfahren der Opfer bedeutete.
Als diese Angehörigen im Laufe der Zeit immer weniger wurden, begann die Karriere eines neuen Leugners, die des Klimaleugners. Sein Profil war nicht mehr ganz so klar, der Begriff enthält bereits eine bezeichnende Unschärfe. Denn kein Klimaleugner würde wohl ernsthaft das Klima leugnen, allenfalls den Klimawandel. Der korrekte Begriff wäre eigentlich: „Klimawandel-Leugner“. Aber selbst das trifft es nicht wirklich, schließlich gibt es unter den Klimaleugnern viele, die den gut dokumentierten Temperaturanstieg gar nicht bestreiten, wohl aber die Annahme, dass der Mensch ihn verschuldet habe. Der Begriff ist also bereits um einiges vager als der des Holocaustleugners, der nie eine zusätzliche Differenzierung benötigt hat.
Gänzlich nebulös wird es bei der jüngsten Variante des Leugners: dem Corona-Leugner. Auch bei ihm geht es um Schuld, denn wer Corona leugnet, verharmlost oder verschuldet gar in letzter Konsequenz den Tod von Menschen. Was aber ist eigentlich genau ein Corona-Leugner? Jemand, der die Existenz von Corona leugnet, sollte man meinen. Ich persönlich kenne jedoch niemanden, der ernsthaft behauptet, das Virus gebe es nicht. Mag sein, dass es solche Leugner gibt, aber dann handelt es sich wohl weniger um ein politisches als um ein psychiatrisches Phänomen.
Was aber leugnet ein zurechnungsfähiger Corona-Leugner? Die Gefährlichkeit der Krankheit womöglich? Dann müsste er genau genommen „Coronagefahr-Leugner“ heißen. Aber auch das trifft es nicht ganz. Schließlich gibt es eine Reihe von Menschen, die gemeinhin als Corona-Leugner gelten, obwohl sie keineswegs bezweifeln, dass Covid 19 für bestimmte Risikogruppen gefährlich ist. Und doch gelten sie als Corona-Leugner, etwa weil sie an Demonstrationen teilnehmen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung richten. Diese Menschen protestieren jedoch nicht, weil sie die Existenz des Virus bestreiten, sondern weil sie die Maßnahmen für überzogen, sinnlos oder für einen Verstoß gegen die Freiheitsrechte halten. Dann wären sie aber keine Corona-, sondern „Corona-Maßnahmen-Sinn-Leugner“.
Zugegeben, ein solches Begriffsungetüm eignet sich kaum als politischer Kampfbegriff. Zumal auch das nicht ganz ins Schwarze trifft. Denn als Corona-Leugner gelten inzwischen ja auch Personen, die weder die Gefährlichkeit der Krankheit noch die Notwendigkeit von Maßnahmen leugnen. Menschen zum Beispiel, die kritisieren, dass in den öffentlich-rechtlichen Medien nur noch ein ganz bestimmtes Spektrum der universitären medizinischen Forschung zu Wort kommt und ein anderes entweder totgeschwiegen oder – als Corona-Leugner – verleumdet wird.
Man sieht: Es ist inzwischen möglich, zum Leugner zu werden, ohne dass man irgendetwas leugnet. Übrig geblieben ist nur der Aspekt der Schuld, der einst dem Wort sein Gewicht verliehen hat. Die Schuld wird verteilt und niemand weiß mehr genau zu sagen, wofür. Hauptsache, es gibt Leugner. Eine Gesellschaft, die derart diffuse Tabus braucht, hat offensichtlich Augenmaß und Orientierung verloren.