Corona – eine Glaubensfrage

Die deutsche Corona-Politik wurde von Experten evaluiert. Ergebnis: kaum Evidenz für die Maßnahmen. Konsequenz: Nur ja nicht vom Glauben abfallen!

„Es ist zum Schreien. Laut und lange.“ – Diesen Ausruf der Verzweiflung stieß die ARD-Moderatorin Kristen Girschik aus, als sie Anfang Juli den Sachverständigen-Bericht über die Wirkung der Corona-Maßnahmen der deutschen Regierung kommentierte. Bislang trafen solche Wutausbrüche in den Öffentlich-Rechtlichen Medien ja eher Menschen, die sich nicht impfen ließen oder die gegen die Corona-Politik auf die Straße gingen. Diesmal jedoch richtete sich der Zorn explizit gegen die Regierung. Denn deren Versuch, die Maßnahmen rückwirkend mit wissenschaftlichen Daten als angemessen und effizient zu legitimieren, ist kläglich gescheitert.

Girschiks Fazit: „Welche Maßnahmen haben funktioniert in der Corona-Pandemie – und welche nicht? Das sollte eigentlich der Sachverständigen-Bericht klären. Doch leider hat er genau das nicht getan –  und dafür können die beteiligten Wissenschaftler exakt: gar nichts. Denn Wissenschaft liefert dann Ergebnisse, wenn sie Daten auswerten kann. Nun kommt das Wort ‚Daten‘ in dem Bericht genau 234 Mal vor. Leider geht es fast immer um ‚Datenmangel‘, ‚unzureichende Daten‘ eine ‚imperfekte Datenlage‘, oder Daten, die ab jetzt nun wirklich mal erhoben werden müssen. Also: Wirken Schulschließungen? Helfen Lockdowns und Geschäftsschließungen? Tja, irgendwie Pech, dass diese Maßnahmen nicht von Anfang an wissenschaftlich begleitet wurden – so konnten auch die Sachverständigen diese Fragen nicht abschließend klären.“

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Da protestieren seit über zwei Jahren Menschen gegen die Maßnahmen der Regierung, mit dem Argument, es gebe für diese Maßnahmen keinerlei wissenschaftliche Evidenz. Und sie wurden dafür als Wissenschafts- und Demokratiefeinde, als Schwurbler und Corona-Leugner diffamiert. Und nun muss eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission genau das zugeben: Es gibt keine evidenten Daten. Ja, mehr noch, es wurden keinerlei Versuche unternommen, diese Daten, etwa durch gezielte Kohortenstudien, zu erheben. Übrigens stellen die Sachverständigen in dem Bericht auch ein Versagen im Bereich Kommunikation fest, weil gewisse Stimmen aus der Wissenschaft kein Gehör gefunden hätten. Die Wahrheit ist: Sie wurden nicht nur nicht gehört, sie wurden ausgegrenzt, beschimpft, gecancelt oder gleich aus ihren Ämtern entfernt.

Der Philosoph Matthias Burchard bemerkte nach Erscheinen des Evaluierungsbericht in einem hörenswerten Podcast mit Sven Böttcher:

„Ich fordere von der Regierung eine Entschuldigung für die unterbliebene Kommunikation mit Menschen, die, wie wir, in besten Absichten für das Gemeinwohl ihre Stimmen erhoben haben und dadurch zum politischen Außenseiter geworden sind. Ich fordere die Rehabilitation aller Kritiker, die Einstellung aller anhängigen Verfahren und eine Amnestie für Menschen, die zu Unrecht verurteilt wurden. Die Regierung hat immer wieder den Namen der Wissenschaft als Legitimation für ihre Maßnahmen herangezogen und hat zugleich die Bedingung der Möglichkeit für seriöse, unabhängige Wissenschaft systematisch zerstört.“

Doch wie reagiert die Regierung? Gesundheitsminister Lauterbach bereitet die Menschen wieder auf strenge Maßnahmen im Herbst vor. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, liefert ihm die Begründung: „Nur weil eine Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, heißt das nicht, dass die Maßnahme unwirksam ist.“

„Es ist zum Schreien. Laut und lange.“ Wie wahr! Denn mit Dahmens spitzfindigem Rettungsversuch hat er bewusst und endgültig das Feld der evidenzbasierten Wissenschaft verlassen und ist in die Sphäre des Glaubens eingetreten: Dass wir experimentell nicht in der Lage sind, Wasser in Wein zu verwandeln, heißt ja noch lange nicht, dass Jesus das Kunststück damals nicht beherrschte. Wir können zwar nicht beweisen, dass die Christophorus-Plakette im Auto uns vor Unfällen bewahrt hat. Aber damit ist keineswegs erwiesen, dass der Heilige nicht seine schützende Hand über uns gehalten hat.

Im Grunde hatte der Umgang mit der Pandemie von Anfang an religiöse Züge. Auf die sakramentale Überhöhung der Impfung habe ich bereits in einem früheren Blogbeitrag hingewiesen. Die meisten Menschen wollten glauben, dass Corona die schlimmste Heimsuchung seit der Sintflut sei, und wurde so zu Zeugen Coronas. Sie wollten glauben, dass man das Virus aus der Welt impfen könne. Sie wollten glauben, dass es sich um eine Pandemie der Ungeimpften handle. So ist das nun einmal bei gläubigen Menschen: Das Letzte, was ihren Glauben erschüttern kann, sind Daten und Fakten, vorhandene wie fehlende. Ein Glaube zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er über die irdische Empirie erhaben ist. Nur der Kleingläubige braucht Beweise. Und der tief Gläubige nimmt sich das Recht, auf seinem Kreuzzug zur Errettung der Menschheit jene Ungläubigen zu verdammen, die sich der höheren Wahrheit in den Weg stellen.

Das Bemerkenswerte an dieser neuen Religiosität ist, dass ihre Prediger unentwegt den Namen der Wissenschaft im Munde führen und dabei streng zwischen wahren und falschen Propheten unterscheiden, zwischen rechtgläubigen und ketzerischen Wissenschaftlern. An den Pranger mit den Ungläubigen! Jagt sie von der Kanzel!

Die paradoxe Folge daraus ist, dass nie zuvor das Vertrauen in die Wissenschaft derart bis auf die Grundfesten erschüttert wurde.